Geschichte in Juwelen

Die Cartier-Schau im V&A Museum in London ist eine Reise durch Glamour, Geschichte und gesellschaftliche Inszenierung. Hier werden Preziosen zu Erzählungen, die weit über Schmuck hinausgehen.

Von Yasmin El Mohandes

Wer die Cartier-Ausstellung im Londoner Victoria & Albert Museum betritt, lässt mehr als nur den Alltag hinter sich. Man verlässt die Gegenwart. Und taucht ein in ein Universum, in dem Diamanten Geschichte schreiben, Tiaras Diplomatie betreiben und ein einziger Panther die Aura einer ganzen Epoche verkörpern kann.

„Cartier, the world’s jeweller“ – dieser Satz ist längst ein Mythos. In dieser Ausstellung aber bekommt er Kontur. Über 350 Preziosen, Entwurfszeichnungen, Fotografien und Archiveinblicke formen ein Panorama aus Glamour und Geschichte. Doch was diese Schau so besonders macht, ist nicht die Fülle. Es ist der Blickwinkel. Cartier wird hier nicht nur als Maison gezeigt – sondern als Medium. Als Spiegel dessen, was Macht, Stil und Selbstinszenierung im 20. Jahrhundert bedeuteten. Und bedeuten.

Alles beginnt in Paris. Natürlich. 1847 gründet Louis-François Cartier das Unternehmen in einem kleinen Atelier. Doch es sind seine Enkel – Louis, Pierre und Jacques – die Cartier zur globalen Bühne machen. Jacques eröffnet 1902 das Londoner Haus in der New Bond Street. Dort, wo heute globale Marken um Sichtbarkeit konkurrieren, wurde damals Geschichte getragen – am Finger, um den Hals, auf dem Kopf.

In einer Zeit, in der Monarchien ins Wanken gerieten und die Moderne ihre Konturen suchte, war Cartier die diskrete Konstante. Die Tiaras wurden leichter, die Fassungen architektonischer, die Motive mutiger. Es war eine neue Sprache des Luxus – und sie sprach von Selbstbewusstsein. Nicht von Bescheidenheit.

Die Ausstellung inszeniert diesen Wandel nicht als Chronologie, sondern als sinnliches Tableau. Man wandelt durch Räume wie durch Gemälde – jedes Objekt ein Zitat aus einem größeren Text. Und man merkt schnell: Es geht nicht um Schmuck. Es geht um Geschichten. Und um Frauen, die sie geprägt haben.

Da ist die ikonische Flamingo-Brosche von Wallis Simpson, Herzogin von Windsor – frech, farbenfroh, frei. Eine Kreation aus Rubinen, Smaragden, Saphiren und Diamanten, so kühn wie die Frau, die sie trug. Oder die berühmte Panther-Brosche, entworfen von Jeanne Toussaint, Cartiers legendärer Kreativchefin. Toussaint, von Louis Cartier liebevoll „La Panthère“ genannt, war mehr als eine Gestalterin. Sie war eine Stilistin der Unabhängigkeit. Ihre Panther – geschmeidig, wachsam, gefährlich schön – wurden zu Emblemen für eine neue Weiblichkeit: elegant, aber unnachgiebig.

Ein paar Räume weiter glitzert die Halskette von María Félix. Zwei Krokodile, eines aus Smaragden, das andere aus Diamanten – gewagt, provokant, beinahe surreal. Félix, mexikanischer Filmstar und Stil-Ikone, hatte Cartier beauftragt, ein Stück zu fertigen, das ihre Präsenz sichtbar machte. Das Resultat? Kein Schmuck. Eine Skulptur. Eine Provokation.

Und natürlich: die Royals. Die Brosche von Queen Elizabeth II., eingefasst um einen 23-karätigen rosafarbenen Diamanten, scheint wie ein stilles Staatsdokument. Getragen bei politischen Audienzen, Hochzeiten, Krönungen. Jeder Auftritt ein Statement – zart, aber unerschütterlich. Ein Stück, das mehr über Macht sagt als jede Rede.

Man verweilt lange bei der Tiara-Sektion. Achtzehn dieser fragilen, majestätischen Strukturen schweben unter Glas wie Gedanken aus Licht. Die Manchester-Tiara etwa – ein glitzerndes Gedicht aus über 1000 Diamanten – erzählt vom goldenen Zeitalter der Aristokratie, aber auch von seinem Verschwinden. Die Diademe wirken entrückt, fast geisterhaft. Wie Schatten eines Jahrhunderts, das lernen musste, Eleganz neu zu definieren.

In einer versteckten Vitrine liegt ein Entwurf für eine nie realisierte Tiara – skizziert für eine russische Großfürstin, deren Vermögen nach der Revolution konfisziert wurde. Nur das Papier blieb. Und mit ihm die Erinnerung an ein Juwel, das nie funkeln durfte.

Cartier begleitete diesen Wandel. Vom höfischen Erbe zur mondänen Moderne. Von der gekrönten Hauptfigur zur souveränen Ikone. Hollywood, Bollywood, High Society – alle trugen Cartier. Aber nicht nur als Schmuck. Als Haltung.

Grace Kellys Verlobungsring – ein makelloser Diamant, unübersehbar – steht wie ein Monument der Hollywood-Romantik. In High Society trägt sie ihn mit der nonchalanten Geste einer Frau, die weiß, was sie will. Dass der Ring später zum Symbol ihrer Märchenhochzeit mit Fürst Rainier von Monaco wurde, ist mehr als Fügung. Es ist Teil einer Strategie der Schönheit.

Und dann die Patiala-Halskette – wohl eines der spektakulärsten Stücke, das Cartier je fertigte. Beauftragt vom indischen Maharadscha Bhupinder Singh im Jahr 1928, umfasst sie einen 234-karätigen gelben Diamanten und Tausende kleinere Edelsteine. Ihre Geschichte ist eine eigene Ausstellung: verloren, fragmentarisch wiederentdeckt, rekonstruiert. Ein Mythos aus Platin und Licht.

Andere Stücke sind heute ganz verschwunden – verschmolzen, versteigert, vergessen. Die Collier-Bandeau-Kreation der Schauspielerin Merle Oberon etwa, eine Kombination aus Diamantarmband und Stirnband, wurde zuletzt in einem Pariser Auktionshaus erwähnt. Wer es heute besitzt, weiß man nicht.

Es sind nicht nur die Stücke selbst, die wirken. Es ist ihr Kontext. Ihre Aura. Wer sie trug. Wann. Warum. Schmuck wird hier nicht museal, sondern lebendig. Und: flüchtig. Denn so sehr man auch versucht, das Funkeln festzuhalten – es bleibt ein Moment. Ein Blick. Ein Auftritt. Und vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis von Cartier: Es geht nie um das Objekt allein. Es geht um den Augenblick, den es rahmt.

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