Frauen, Familie, Fendi
100 Jahre Fendi: Zum Jubiläum spricht Silvia Venturini Fendi über ihre ganz persönliche Geschichte im Haus. Die Designerin und Enkelin der Gründer erzählt über Kindheitserinnerungen an Karl Lagerfeld, die Magie der „Baguette Bag“ und die Kraft weiblicher Führung.

Ein kleines Fotoalbum, in Leder eingebunden; darin Schwarz-Weiß-Bilder von Models in Pelzen, aber auch von der Familie: Zur Einladung für die jüngste Fendi-Modenschau in Mailand hatte das Haus Aufnahmen aus 100 Jahren Fendi-Geschichte mitgeschickt. Eines davon zeigt Silvia Venturini Fendi: sechs Jahre alt, gekleidet in ein Reitkostüm mit Pelzjacke, neben ihr ein Frauen- und ein Männermodel im gleichen Look. Es war das Jahr 1966 und Karl Lagerfeld, den die Schwestern Anna, Carla, Paola, Alda und Franca Fendi als Chefdesigner ins Team geholt hatten, zeigte seine erste Kollektion für die Marke. Sein Model Nummer eins: die kleine Tochter von Anna Fendi, Silvia, die ständig im Atelier herumtobte. „In dem Moment habe ich die Welt der Mode für mich entdeckt und verstanden, dass ich ein Teil davon sein wollte“, sagt Silvia Venturini Fendi heute, 59 Jahre später. Als Enkelin von Adele und Edoardo Fendi, die im Jahr 1925 in Rom ein Geschäft für Pelze und Lederwaren eröffneten und damit den Grundstein für das heute weltweit bekannte Luxushaus legten, war sie ohnehin schon eng mit der Mode verbunden. Sie ist dem Haus, das seit 1999 dem Luxuskonzern LVMH gehört, treu geblieben, arbeitet dort seit Jahrzehnten als Artistic Director für Männermode und Accessoires, lange an der Seite von Karl Lagerfeld und die letzten vier Jahre neben Kim Jones, der das Haus im vergangenen Oktober verließ. Der Posten ist bis heute nicht besetzt, und so entwarf Silvia Venturini Fendi dieses Mal die Frauen-Kollektion für den Herbst. Die Show dazu wurde zu einer großen Geburtstagsfeier, bei der 100 Jahre Fendi, aber auch Silvia Venturini Fendi selbst mit stehenden Ovationen bejubelt wurden. Eröffnet wurde die Show von ihren zwei Enkelkindern, gekleidet in exakt das Kostüm, das sie selbst früher für Lagerfeld trug.
DIVA: Als die Show anfing, sah man als Erstes eine riesige Tür auf dem Laufsteg. Ihre Enkel Dardo und Tazio haben sie geöffnet, und heraus traten die Models. Was hat es mit dieser Szene auf sich?
SILVIA VENTURINI FENDI: Die Tür auf dem Laufsteg repräsentierte die Tür zum Fendi-Atelier, aber in extrem vergrößerter Form, weil sie mir als Kind immer so groß vorkam. Ich fühlte mich damals oft wie Alice im Wunderland. Die Tür symbolisiert also den Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft. Dann kommt noch hinzu, dass meine Enkel ebenso alt sind wie ich damals, als ich für Lagerfeld modelte. Und sie sind auch noch Zwillinge, was mich an das Doppel-F des Fendi-Logos erinnert hat. Kurz gesagt: Es kommen hier viele kleine Symbole zusammen, mit denen ich die Emotionen dieser Erinnerung vermitteln wollte.
DIVA: Lagerfeld war ein entscheidender Moment für Fendi: Plötzlich stand da ein neuer, deutscher Modedesigner an der Spitze neben den fünf Chefinnen. Was hat sich Lagerfeld damals bei seiner ersten Kollektion gedacht?
SILVIA VENTURINI FENDI: Das waren ja damals bewegte Jahre, auch in der Gesellschaft. In Italien wurde viel demonstriert, Frauen kämpften für mehr Gleichberechtigung. Und Lagerfeld fand sich plötzlich in diesem Unternehmen wieder, das von fünf Frauen geführt wurde, die einerseits sehr selbstbestimmt und offen für Veränderungen waren, aber gleichzeitig ihre feminine Identität als Mütter auslebten. Wir Kinder waren ständig im Atelier, es gab keine Grenze zwischen dem privaten und beruflichen Leben. Lagerfeld hat das alles wahrgenommen und wurde dadurch zu einer Unisex-Kollektion inspiriert, was damals sehr ungewöhnlich war. Er wollte die Geschehnisse in der Gesellschaft widerspiegeln, ebenso wie die Realität des Unternehmens. Und dazu gehörten eben auch wir Kinder.
DIVA: Fünf Schwestern, die ein Unternehmen führen, das stellt man sich nicht gerade friedlich vor …
SILVIA VENTURINI FENDI: Meine Mutter und meine Tanten hatten alle extrem starke Persönlichkeiten und waren sehr unterschiedlich. Aber sie hatten ein gemeinsames Ziel: das Unternehmen zum Erfolg zu führen. Karl fertigte einst diese wundervolle Zeichnung an: eine Hand mit fünf Fingern, und jeder Finger steht für eine Fendi-Schwester. Das Motiv geht auf einen Spruch meiner Großmutter zurück, die sagte: „Ihr seid wie die Finger an einer Hand: Alle anders, aber ihr funktioniert gut zusammen.“
DIVA: Wann haben Sie offiziell angefangen, im Unternehmen zu arbeiten?
SILVIA VENTURINI FENDI: Das war 1987. Ich begann zunächst für die Zweitlinie Fendissime zu entwerfen, die auch dafür gedacht war, dass wir Jüngeren uns ausprobieren konnten. Karl muss dann etwas in mir gesehen haben, denn er hat mich irgendwann gefragt, ob ich nicht zu ihm zu Fendi kommen will.
DIVA: Dort ist Ihnen 1997 als Accessoire-Designerin ein Geniestreich gelungen: die „Baguette Bag“, die bis heute ein Erfolg ist. Modehäuser versuchen immer wieder, solche Ikonen zu erschaffen. Wie gelingt es?
SILVIA VENTURINI FENDI: Irgendwie standen die Sterne günstig für mich an dem Tag. Vielleicht liegt das Geheimnis darin, dass man ein Bedürfnis vorhersieht, von dem Frauen nicht einmal wissen, dass sie es haben. Die „Baguette“ ist im Grunde eine sehr einfache Tasche: Sie ist weich, klein, man trägt sie nah am Körper,
sie fühlt sich schnell wie ein Teil von einem an, wie bei Linus und seiner Kuscheldecke. Weil sie so weich ist, passt mehr rein, als man zuerst denkt. Und sie feierte Individualität in einer Dekade, in der alles ziemlich gleich aussah: Die „Baguette“ gab es in Denim, bestickt, aus Baumwolle; Frauen haben angefangen, sie zu sammeln, und heute sehen wir, dass neue Generationen sie für sich entdecken. Genau das wünschen wir uns auch für die Zukunft von Fendi: dass es uns gelingt, das Leben der Menschen langfristig zu begleiten.
DIVA: Fendi gehört nun seit vielen Jahren zum Konzern LVMH. In vielen Familienunternehmen treten Mitglieder der Familie irgendwann ab, sobald ein Besitzerwechsel stattfindet. Warum funktioniert die Partnerschaft bei Fendi weiterhin?
SILVIA VENTURINI FENDI: Ich versuche, immer professionell zu sein. Als die Firma verkauft wurde, stand nirgendwo geschrieben, dass ich als Designerin im Team bleiben würde. Viele meiner Verwandten sind gegangen, aber ich habe den Moment als Chance gesehen: Ich musste mich beweisen. Und über die Jahre ist eine enge berufliche Beziehung entstanden, die ich am Ende als sehr befreiend empfunden habe.
DIVA: Inwiefern befreiend?
SILVIA VENTURINI FENDI: Weil durch den Verkauf feststand, dass ich mir diese Rolle verdient hatte und sie nicht nur hatte, weil die Firma meiner Familie gehörte. Schließlich hatte ich immer mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass mir dieser Job in die Wiege gelegt wurde und ich es dadurch leicht hatte. Die Menschen haben mit Skepsis auf mich geschaut und ich habe mich lange schuldig gefühlt. Der Deal mit LVMH gab mir am Ende die Möglichkeit, das zu überwinden und zu wachsen.
DIVA: Ihre Tochter Delfina Delettrez Fendi ist Schmuckdesignerin und hatte mit ihrem eigenen Label großen Erfolg. Aber sie ist erst spät ins Familienunternehmen eingestiegen.
SILVIA VENTURINI FENDI: Das kam durch Kim Jones, der nach dem Tod von Karl Lagerfeld als Chefdesigner zu uns kam. Als er bei Fendi anfing, habe ich ihn in Rom begrüßt und er hat sofort gefragt: „Wo ist Delfina?“ Ich sagte ihm, sie arbeite nicht bei Fendi. Sie ist meine Tochter, ich habe mich nie getraut, sie als Designerin vorzuschlagen, weil ich nicht wollte, dass sie ähnliche Vorurteile erleben musste wie ich. Da hat Kim gesagt: „Dann stelle ich sie ein!“ Das hat mich sehr glücklich gemacht.
DIVA: Wünschen Sie sich, dass Ihre Kinder in Zukunft im Unternehmen präsent bleiben?
SILVIA VENTURINI FENDI: Ich habe meinen Kindern immer die Freiheit gelassen, ihren eigenen Weg zu gehen. Delfina hat einfach diese „Fendiness“, wie wir sie nennen, den Geschmack und den Blick, etwas auf Fendi-Art zu interpretieren. Sie und ich denken da sehr ähnlich, wir verstehen uns ohne Worte. Auch meine jüngere Tochter Leonetta ist in die Firma eingestiegen, sie kümmert sich um Nachhaltigkeitsaspekte im Design. Und ich würde an dieser Stelle auch gerne meinen Sohn Giulio Cesare erwähnen: Er hat mit Mode gar nichts am Hut, aber er ist wundervoll.
DIVA: Das Wichtigste ist doch, dass die eigenen Kinder eine Leidenschaft für sich entdecken …
SILVIA VENTURINI FENDI: Und das freut einen umso mehr, wenn man wie ich oft Schuldgefühle hatte. In der Mode arbeitet man so hart und so lang, zumal mit Lagerfeld … Was ich alles verpasst habe; Geburtstage, Schulkonferenzen! Ich habe mich als Mutter oft hinterfragt. Heute bin ich sehr stolz auf meine Kinder und darauf, dass sie ihren Weg gehen und damit glücklich sind. Das zeigt mir: Mir ist in meinem Leben mehr gelungen als die „Baguette“ …