Form folgt Freiheit

In einer Welt, die zwischen schnellen Entscheidungen und beständigen Werten schwankt, tritt der „Sneakerina“ auf – der Schuhtrend des Jahres, der zu jedem Schritt passt. Eine Fusion aus Stil und Funktion, die Wahlmöglichkeiten feiert, statt sie zu begrenzen.

Von Alexander Pfeffer

Manchmal entsteht etwas Neues nicht aus einer Notwendigkeit, sondern aus einem Wunsch. Nicht aus Mangel, sondern aus Überfluss – an Ideen, an Formen, an Möglichkeiten. Es sind Momente wie dieser, in denen die Mode über ihre Funktion ­hinauswächst. Nicht, weil sie muss, sondern weil sie kann.

Ein solcher Moment lässt sich heute an einem Schuh ablesen, der still und beinahe beiläufig die Grenzen zwischen Bühne und Bürgersteig, zwischen Couture und Komfort verwischt. Er trägt einen ­Namen, der mehr ist als bloße Bezeichnung, eher ein launiger Kommentar zur Gegenwart: „Sneakerina“. Ein Kofferwort, ein sogenanntes Portmanteau, das sich einreiht in eine illustre ­Reihe: „Shackets“ (Mix aus Hemd und Jacke), „Jeggings“ (Verschmelzung von Jeans und Leggings) oder „Skorts“ (Hybrid aus Rock und Shorts); Mischwesen, die das Entweder-oder durch ein ­Sowohl-als-auch ersetzen. Mode als Diplomatie.

Der Sneakerina tut dies mit bemerkenswerter Grazie. Er ist nicht laut, nicht offensiv, eher ein diskreter Begleiter für jene, die ihre Kleidung wie eine Sprache benutzen – fließend, mehrdeutig, kultiviert. Was aussieht wie ein Tanzschuh mit Bodenhaftung, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als modisches Paradox: zart und stabil zugleich. Er besitzt die elegante Fragilität eines Ballettschuhs, aber auch das solide Selbstbewusstsein eines Sneakers.

Miu Miu bringt das Konzept mit verspielter Leichtigkeit ins Haus – Riemen, Schleifen, eine Prise mädchenhafte Ironie. Hermès hingegen kultiviert eine fast meditative Zurückhaltung; und Acne Studios, wie immer skandinavisch präzise, destilliert aus der Form das Wesentliche. Doch es ist Louis Vuitton, das dem Sneakerina eine Bühne in voller Größe widmet: eine eigene Kollektion, gefertigt in der anspruchsvollen Sacchetto-Technik, versehen mit Monogram-Canvas, LV-Circle, Metallic-Finish. Farben, die wie Accessoires eines sehr bewussten Lebens wirken: Fuchsia für die Kunstauktion, Silber für die Dachterrasse, Waldgrün für das Wochenendhaus in der Toskana.

Ein Name, der in diesem Zusammenhang nicht fehlen darf, ist Simone Rocha. Die irische Designerin präsentierte bereits 2020 ihre „Ballett-Tracker“, eine komplexe Komposition aus schweren Sohlen und ornamentalen Riemen, bestickt mit Perlen und Kristallen. Rocha selbst beschrieb sie als „eine perfekte Mischung aus einem traditionellen Ballettschuh, aber dennoch sportlich“ – ein Satz, der wie eine Blaupause für den Sneakerina gelesen werden kann.

Doch nicht nur Modemarken haben den Schuhtrend der Stunde im Programm. Adidas, Asics, Puma – alle setzen auf feminisierte Silhouetten. Puma verpasst seinem historischen „Speedcat“ einen eleganten Ballett-Twist, mit elastischen Riemen und Metallic-Schimmer. Ein Statement – gerade jetzt, wo der vormals hippe „Adidas Samba“ durch seinen Auftritt am Fuß eines ehemaligen Premierministers modisch entmysti­fiziert wurde. Ein Schuh ist eben niemals nur ein Schuh; er ist auch immer ein Code. Selbst Zara greift die Bewegung auf – mit einer Mesh-Variante, die Netzstoff und Schnürung kombiniert, als sei sie für einen Tanz über Beton gedacht.

Überhaupt: Die Lust an modischen Hybriden scheint ­ungebrochen. New Balance bringt mit dem „1906 L“ einen „Snoafer“ auf den Markt – eine Verbindung aus Penny Loafer und Sneaker. Und Hoka, sonst auf Trails und Marathon­strecken zu Hause, betritt mit dem „Speed Loafer“ neues Terrain: ein Schuh für den Vorstandslift, der auch über Kieswege führen darf.

Es ist diese fortschreitende Verwebung von Funktion und Fiktion, die dem Sneakerina – und seinem Umfeld – eine solche Relevanz verleiht. Er ist keine Reaktion auf Trends, sondern eine Übersetzung von Lebensentwürfen. Cecilie Bahnsen, deren Designs für ihre zerbrechliche Präzision bekannt sind, bringt es auf den Punkt: „Der Sneakerina ist eine Antwort auf unser Bedürfnis nach Schönheit – ohne Einbußen beim Komfort.“ Und damit ist er vielleicht auch ein Statement gegen das Unbedingte, gegen den Zwang zur Entscheidung; gegen das Entweder-oder.

Denn was, wenn das Leben genau da beginnt, wo man nicht mehr wählt, sondern verbindet? Ein Schuh wie dieser lädt ein, genau das zu tun – mit einer gewissen nonchalanten Selbstverständlichkeit. Und vielleicht auch mit einem Espresso Martini um 14 Uhr.

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