Top in Schwarz
Es ist klein, schwarz – und hat das Modezepter übernommen: Das Little Black Top ist die neue Leinwand moderner Eleganz. Asymmetrisch, skulptural oder hauchzart: Es spielt mit Formen und Texturen, wie es nur die Mode von heute kann.

Immer noch ist in der Mode häufig vom LBD die Rede, und wenn ein Mensch oder ein Kleidungsstück als Akronym existiert, hat er oder das Stück es wirklich geschafft (oder einfach einen zu langen Namen). Das Little Black Dress hat natürlich unbestritten Modegeschichte geschrieben, und die ist rauf- und runtererzählt worden. Die meisten wissen, dass das kleine Schwarze mit „Breakfast at Tiffany’s“ 1961 populär wurde – da eine halb verkaterte Audrey Hepburn mit dem Entwurf von Hubert de Givenchy sofort wie eine Lady aussah. Etwas weniger Leute könnten da einwenden, dass „la petite robe noire“ schon 1926 von Coco Chanel erfunden wurde: ein schwarzes Etuikleid ohne Taille und Ausschnitt, mit Ärmeln und knielangem Rock, das eher wie eine Dienstmädchenuniform daherkam. Die Welt war geschockt damals – heute schockt so etwas niemanden mehr. Wenn wir ganz ehrlich sind, trägt nämlich fast niemand mehr kleine schwarze Kleider, weil die Anlässe dafür (gut hundert respektive sechzig Jahre später) weniger geworden sind.
Vom Kleid zum Top
Was in all den Modebüchern und -magazinen dagegen viel seltener vorkommt, obwohl es viel häufiger getragen wird, ist dieses andere kleine Schwarze, das in Wahrheit sogar noch kleiner ist: das schwarze Top. Dass viel Schwarz getragen wird, ist keine Neuheit: Es macht schlank, passt zu allem, ist cool, zeitlos und so weiter. Auch deshalb gibt es von keinem Oberteil so viele verschiedene Varianten – was dann natürlich dazu führt, dass noch mehr Schwarz getragen wird. Und wir reden hier nicht nur von schwarzen T-Shirts und Tanktops (die gehören zur Grundausstattung im Schrank): Daneben hängt vielleicht aber noch das schwarze, tief ausgeschnittene Halterneck-Top, wie Victoria Beckham es häufig entwirft; oder ein One-ShoulderBody, wie Daniel Lee ihn in seiner ersten Kollektion für Bottega Veneta präsentierte (ganz simpel, ganz fantastisch); oder ein BohoSpitzen-Top, wie es bei Isabel Marant eigentlich in jeder Kollektion und jetzt auch wieder bei Chloé zu finden ist. Viele haben sich irgendwann ein halb durchsichtiges Langarm-Top zugelegt, wie es jüngst bei Ferragamo auf dem Laufsteg zu sehen war. Die Liste könnte ewig weitergehen.
Denn im Gegensatz zu einem LBD, das, nun ja, nur als LBD getragen werden kann, viel Bein zeigt und deshalb passendes Schuhwerk erfordert, kann ein schwarzes Top in zig Varianten kombiniert werden: zur Jeans, zum Rock, zu Bermuda-Shorts, zu Caprihosen, unter einer Jacke, zusammen mit einer offenen Bluse. Die Influencerin Leandra Medine Cohen schreibt auf ihrem Blog „The Cereal Aisle“ regelmäßig darüber, wie man Schwarz trägt, ohne langweilig auszusehen. Kürzlich trug sie ein schwarzes Spitzen-Top über einem weißen Tanktop, womit schon wieder eine neue Variante geboren war.
Schnallen- und Materialexperimente
Wer in Onlineshop-Suchen „schwarze Tops“ oder „Oberteile schwarz“ eingibt, bekommt seitenweise Ergebnisse geliefert – darunter viele Basics, einfache Träger-Tops. Doch die Varianten darüber hinaus sind in den letzten Jahren noch einmal um ein Vielfaches gewachsen. Seit der Prada-Kollektion für Sommer 2019 ist beispielsweise viel Hardware zu sehen – silberne oder goldene Schmuckelemente, mit Glitzer besetzte Krägen, eine große Perle im Ausschnitt. Viele Ärmel oder Träger sind asymmetrisch, die Säume ebenfalls; sie sind rückenfrei, bauchfrei, schulterfrei, haben Schulterpölster, Schnüre oder Volants.
Auch bei den Materialien gibt es für Designer noch mehr Möglichkeiten als bei Kleidern, weil Tops nicht den ganzen Körper umschmeicheln oder formen müssen. Eines der aufregendsten schwarzen Modelle entwarf diesen Sommer Tory Burch: ein Oberteil aus „Faux Croc Jersey“ in schimmernder Krokodiloptik. Womöglich nicht sehr atmungsaktiv, aber ein perfekter Hingucker, der zur Jeans wie zum Rock funktioniert.
Diesen Herbst wird man sicherlich viele Netzoberteile mit Bustier oder BH darunter sehen, wie Sarah Burton es in ihrer ersten Kollektion für Givenchy zeigte; außerdem skulpturale schwarze Tops wie bei Phoebe Philo oder Alaïa, mit Kapuze, markanter Schulterpartie oder aufgeblasenem Schößchen. Langweilig sieht das ganz sicher nicht aus. Eigentlich höchste Zeit, dass dieses Kleidungsstück auch sein eigenes Akronym bekommt: LBT, Little Black Top.