Neue Köpfe, alte Namen
Jonathan Anderson, Pierpaolo Piccioli und Demna: Das Personalkarussell bei den Modemarken dreht sich wie verrückt: Bei den Fashionweeks im Herbst sind viele spannende Debüts zu erwarten. Die Zeit der woken Botschaften ist hingegen vorbei.

Donatella geht. Demna wechselt von Balenciaga zu Gucci. Ihm folgt Pierpaolo Piccioli (Ex-Valentino) nach. Simone Bolotti geht von Bally zu Jil Sander. Duran Lantink wird Kreativdirektor von Jean Paul Gaultier. Und dann ist da noch Jonathan Anderson. Der britische Designer hat Loewe in Richtung Dior verlassen. Zunächst für Dior Homme - mittlerweile ist er Kreativdirektor der Damen-, Herren- und Haute-Couture-Kollektion. Doch wie geht es für seine Vorgängerin Maria Grazia Chiuri weiter? Und für Hedi Slimane (Ex-Celine) ist auch noch kein Job gefunden. Ebenso wenig für John Galliano?
Für Menschen, die sich nicht professionell mit der Modewelt beschäftigen, sind die vielen Personalwechsel mittlerweile unübersichtlich und egal. Was aus Insidersicht seismischen Verschiebungen gleichkommt, wirkt für Unbeteiligte unverständlich. Zumal die neuen Disruptoren oft schon wieder aus ihren Positionen gefeuert werden, bevor man sich ihre Namen merken kann. Etwa Sabato de Sarno bei Gucci. Oder Peter Hawkins bei Tom Ford.
Trotzdem lässt sich an diesen oft überstürzt (oder gar verzweifelt) wirkenden Rochaden zweierlei ablesen. Die Modeindustrie ist in Bewegung. Das zweitgrößte Luxus-Konglomerat Kering wankt, weil sein Umsatztreiber Gucci seit Jahren in einer Krise steckt. Und der Luxusmarkt insgesamt ist nach Jahren des ungebremsten Wachstums unsicherer geworden.
Wenn selbst Donatella geht, worauf kann man sich dann überhaupt noch verlassen? Nach fast drei Jahrzehnten an der Spitze und Monaten der Spekulation hat sich die flamboyante Schwester des Firmengründers von ihrem Job als Chief Creative Officer verabschiedet. Die Kollektionen verantwortet künftig Dario Vitale, der in den letzten Jahren der Prada-Zweitmarke Miu Miu zu sensationellem Erfolg verhalf. Da Versace von Prada gekauft wurde, ist diese Personalrochade ein strategisches Meisterstück.
Doch die Verschiebungen haben eines gezeigt: Die Mode bleibt unberechenbar. Designer, die als große Talente gelten, können in ihrer Aufgabe scheitern – und dann plötzlich wieder zu ungeahnten Höhen aufschwingen. Das war gleich bei zwei Debüts zu beobachten.
Jahrelang hat Sarah Burton als Nachfolgerin von Alexander McQueen einen wackeren Job gemacht. Trotz ihrer unbestreitbaren Qualitäten hatte die Marke nie die Schärfe und Relevanz wie unter ihrem Gründer und Namensgeber. Nun hat Burton ihre erste Kollektion für Givenchy gezeigt. Das Haus hatte in den vergangenen Jahrzehnten zwar sieben Chefdesigner, aber es erfuhr im Firmenkonsortium LVMH nie die gleiche Liebe, Aufmerksamkeit und Ausstattung wie Dior oder Louis Vuitton oder auch das eigentliche Nischenlabel Loewe.
Burtons Debüt-Show fand im alten Couture-Atelier von Givenchy statt, weiße, helle, alte Räume, alter Pariser Glanz. Burton zeigte Fischgrät-Tweed-Anzüge mit Sanduhrensilhouette, zu riesigen Schleifen gebundene Ledertücher, superelegante Rollkrägen, die mit elegantem Faltenwurf den Torso runtergleiten, und eine überdimensionierte Bikerjacke aus schwarzem Leder.
Die Kollektion hatte nicht die aufgeregte Dringlichkeit von Miu Miu, wo die Models aussahen, als wären sie beim An- oder Ausziehen erwischt worden: leicht derangiert und tendenziell genervt. Aber wenn sie so weitermacht, könnte Burton künftig die gleiche Nische bedienen wie die Independent-Designerin Phoebe Philo: solvente Frauen mit Hochschulabschluss.
Noch triumphaler war das Tom-Ford-Debüt von Haider Ackerman, ein Designer, der in den vergangenen Jahren unter dem Niveau agierte, das man ihm zutraute (seinen Job bei der Outdoor-Marke Canada Goose muss man dabei als Nebenerwerb werten). Den erotisch aufgeladenen, leicht schillernden Tom-Ford-Stil übersetzte Ackerman in seine eigene, etwas filigranere Ästhetik.
Die Lederoutfits (für Frauen und Männer) waren unwiderstehliche Versprechen, aber am tollsten war sein Spiel mit Farben. Den fliederfarbenen Damenanzug mit einer säuregrünen Bluse trug wenige Tage nach der Show bereits die Schauspielerin Cate Blanchett in einer Talkshow. Ein vollkommen unbemühter und trotzdem unvergesslicher Look.
Was sich an seiner Kollektion allerdings auch ablesen ließ: Es geht in der Mode gerade nicht um weltanschauliche Statements. Hier und da laufen junge Frauen über den Laufsteg, die keine klassischen Modelmaße haben. Aber der Kampf um Diversität, Nachhaltigkeit und Inklusion interessiert, brutal gesagt, derzeit fast niemanden.
Das Paris-Debüt des amerikanischen Designers Willy Chavarria wurde gefeiert, weil er die Ästhetik und Erfahrung lateinamerikanischer Einwanderer thematisiert, auf T-Shirts etwa feierte er den Latino Fan Club, eine Pornoproduktion, die sich auf südamerikanische Darsteller spezialisiert hat. Doch die sehr berechtigte Begeisterung für Chavarria ist wie ein Rückzugsgefecht in einer Welt, in der woke Botschaften an Aufmerksamkeit verlieren.
Das sind die normalen Zyklen dieser Branche, in der das Bekenntnis von gestern heute oft schon wieder vergessen ist. Und das mag auch mit den geopolitischen Stimmungsverschiebungen zusammenhängen.
Der amerikanische Trendexperte Sean Monahan, der schon den Begriff Normcore prägte, sagte bereits im Dezember den Boom-Boom-Stil voraus, also Klamotten für den großen, triumphalen Auftritt. „Geld ausgeben, um so auszusehen, als habe man Geld ausgegeben“, definiert das Magazin „New York“ diesen Look. Zuletzt ließ sich Kim Kardashian, die stets weiß, woher der Wind weht, für ein Magazin auf der Ladefläche eines Cybertruck von Tesla fotografieren.
Und hatte man sich bei der ersten Amtszeit von Donald Trump noch über den Stil der First Lady mokiert, so werden jetzt die Auftritte von Melania Trump und Usha Vance von Modekritikern anerkennend kommentiert.
Auch wenn die amerikanische „Vogue“ unbeirrt Kamala Harris unterstützt hatte, gibt es keine Frage: Der Zeitgeist ist konservativ, die Eleganz erlebt ein Comeback. Auch Pelze waren überall zu sehen, derzeit noch nicht wieder von echten Tieren. Aber wer weiß, wo diese „Make Fashion Great Again“-Rückwärtsrolle hinführt. Und die trapezförmigen Pullover bei Saint Laurent versprachen, dass auch der ultimative Klassiker der Angebermode zurückkommt: die extrabreite Schulter.
Da die Mode jedoch nie eine einheitliche Richtung oder Botschaft verfolgt, regt sich bereits Widerstand. Die japanische Designerin Rei Kawakubo ließ bei ihrer Comme-des-Garçons-Show verkünden, dass das Kleine auch seine Macht habe. Und Alessandro Michele, der seine Valentino-Kollektion in einer Kulisse zeigte, die der Toilette eines Nachtclubs nachempfunden war, erklärte, dass er in seinem neuen Job gar nicht die zeitweise schwindelerregenden Umsätze und Wachstumskurven anstrebte wie bei seinem alten Arbeitgeber Gucci.
Ob das die Valentino-Manager genauso sehen, blieb dabei unerwähnt. Aber klar ist: Die Boom-Boom-Gier-ist-gut-Ideologie wird ebenso viele Fans wie Kritiker finden. Die vielen Debüts im September - Matthieu Blazy bei Chanel, Louise Trotter bei Bottega Veneta, Jack McCollough und Lazaro Hernandezbei Loewe, Dario Vitale bei Versace und Glenn Martens bei Maison Margiela - werden das Modejahr 2025 zu einem der spannendsten seit Langem machen.